Bildungspolitisches Manifest in Zeiten von Corona
These: Bildung und Kultur sind das Fundament, das unsere freie und demokratische Gesellschaftsordnung trägt. Mit „Kultur“ meinen wir eine von den christlichen Werten und den Werten der Aufklärung geprägte Geisteshaltung.
Die Wirtschaft ist der Motor, der sie antreibt und im Idealfall nach menschlichem Maß lebendig pulsieren lässt.
Bildung – Das Tor ins 21. Jahrhundert
Gerade in einer global und digital orchestrierten Welt sind Bildung und Kultur von grundlegender Bedeutung. Wenn die ganze Welt zum freien Markt wird, braucht es mehr denn je eine gediegene Ausbildung, ein multikulturelles Kulturverständnis und selbständig denkende Individuen. Nur wer auf der Höhe der Zeit und der technologischen und intellektuellen Entwicklung ist, kann die Zukunft unseres Planeten und der Menschen, die da leben, mitgestalten und dazu beitragen, die Weichen für ein neues, auf Nachhaltigkeit und Ressourcen schonendes Solarzeitalter zu setzen. Das hat uns neuerdings die Corona-Pandemie drastisch vor Augen geführt. In Krisenzeiten muss der Mensch flexibel auf die Einschränkungen, Probleme und Gefahren reagieren und neue Wege und Problemlösungsstrategien entwickeln. Das gelingt nur jenen Akteuren, die durch eine entsprechende Grundausbildung über die Voraussetzung verfügen, sich den veränderten Bedingungen flexibel anzupassen und aus der Not eine Tugend zu machen.
Bildung ist die Basis für die Zukunft unserer Jugend, für die Zukunft einer ganzen Generation. Dabei ist für Kinder und Jugendliche im Lernprozess der Kontakt zu Gleichaltrigen (sie lernen ja voneinander, indem sie sich austauschen und nachahmen), das vertrauensvolle persönliche Gespräch mit den Lehrpersonen und Lernberatern, eine vorbereitete und anregende Lernumgebung, die ein gemeinsames Abenteuer Lernen erst ermöglichen, besonders wichtig. Lernen vollzieht sich erwiesenermaßen äußerst wirksam im sozialen Klassenverband, in der Gruppe. In der Verhaltensforschung spricht man ja nicht von ungefähr von Rudel- und Schwarmintelligenz. Das gilt gleichermaßen auch für das soziale Wesen Mensch! Wenn wir auch weiterhin den Anspruch vertreten, allen Kindern und Jugendlichen die gleichen Bildungschancen zu garantieren, dann müssen wir den Bildungseinrichtungen absolute Priorität einräumen. Die unabdingbare Teilhabe an Bildung und Kultur gehört in demokratischen Gesellschaften essenziell zu einer gesunden und (be)glückenden Lebensführung. Es ist höchst an der Zeit, im Sinne Hartmut von Hentigs Schule wieder einmal neu zu denken. Weg also von einer Schule verstanden als „Gemischtwarenladen für nützlich erscheinende Erkenntnisse und Fertigkeiten“, von allem etwas und von nichts wirklich Tiefe. Nein. Wir brauchen eine Schule, in der die jungen Menschen zu geerdeten Persönlichkeiten reifen können, die die Zeichen der Zeit verstehen und ein Leben in einer global vernetzten Welt nach menschlichem Maß meistern können, ohne abhängig, fremdbestimmt oder gar zum Spielball von okkulten Mächten zu werden.
Bildung - ein Garant für den sozialen Zusammenhalt der Generationen
Bildung ist nicht nur Abfragen von mühsam auswendig gelerntem Wissen, Bildung basiert auf dem Erwerb von grundlegenden Kompetenzen, die sich im Austausch, im Dialog, im Lernprozess einer Gruppe entwickeln. Daher muss das Gebot der Stunde heißen: die Bildungseinrichtungen sind auch in Zeiten grassierender Pandemie unter Beachtung der lebenswichtigen Hygienevorschriften bedingungslos zu öffnen und offen zu halten. Es muss alles darangesetzt werden, die Kinder und Jugendlichen aus der durch den Corona-Lockdown oder durch Social Distancing bewirkten sozialen Isolation, aus einer seelischen und sprachlichen Verarmung in die Mitte der Gesellschaft zu holen. Aus diesem Grunde ist in coronabedingten Krisenzeiten das Lernen in Kleingruppen und im Reißverschlussverfahren zwischen Präsenzunterricht und digitalem Home-Learning eine sinnvolle Option. So kann jede Gruppe abwechselnd den Unterricht besuchen, und dazwischen (wenn erforderlich) zu Hause digital betreut werden. Wie immer man dieser Herausforderung begegnet, welche organisatorischen Szenarien man auch immer ins Auge fasst, es muss allen Kindern und Jugendlichen auf Dauer ein kontinuierliches Lernen im Gruppen- bzw. Klassenverband garantiert werden, bei Bedarf auch durch strukturelle Modernisierung der Bildungseinrichtungen sowie eine massive Erweiterung des Stellenplans des Lehrpersonals. Die Erfahrung des Miteinander ermöglicht erst das Erlernen von Rücksichtnahme, von Respekt und gegenseitiger Unterstützung und Hilfe. In der Isolation hingegen werden wir alle zu seelisch verarmten Individualisten, die die konsequente Selbstverwirklichung zum obersten Prinzip erheben. Und genau diese Entwicklung unterminiert den sozialen Zusammenhalt. Die besorgniserregende weltweite Ungerechtigkeit in unseren Wohlstandsgesellschaften verschärft die Kluft zwischen Arm und Reich, lässt ganze Bevölkerungsschichten verelenden und treibt sie in Verzweiflung, Migration und Tod. Während wenige Superreiche jeden Augenblick Millionen scheffeln (von „Blackrock“ scheinbar sauber in Szene gesetzt!), verhungern und sterben Flüchtlingskinder auch in europäischen Auffanglagern, den würdelosen Schandflecken abendländischer Zivilisation. Sie zerstören den sozialen Frieden. Um so mehr muss die Maxime heißen: Bildung für alle und gleichzeitig Teilhabe am Wohlstand für alle! Erst die soziale Gerechtigkeit sichert den Frieden.
Digital gestützte Bildung - ein Garant für Zukunftsfähigkeit
Eine unerlässliche Vorzugsschiene muss – auch diese Erkenntnis haben wir durch Corona gewonnen - dringend hin zur Digitalisierung der Schulen und Bildungseinrichtungen eingerichtet werden. Das setzt nicht nur die flächendeckende Bereitstellung der entsprechenden Hardware voraus, sondern erfordert umgehend eine breit angelegte und kontinuierliche Schulung und Professionalisierung des Lehrpersonals in diesem Bereich. Und dabei ist immer zu bedenken, dass Menschen in jedem Lernprozess niemals zu ersetzen sondern lediglich zu unterstützen sind. Keine noch so perfekte Maschine kann jungen Menschen in ihrer Emotionalität gerecht werden. Eine digitale „Reformation“ schafft aber die Voraussetzungen für einen Paradigmenwechsel, der uns die Mittel an die Hand gibt, im globalen Wettbewerb zu bestehen, innovative Entwicklungen anzustoßen und langfristig eine lebenswerte Zukunft für nachkommende Generationen zu sichern. Der globale Wettbewerb nimmt leider
keine Rücksicht auf jene, die strukturelle und zukunftsweisende Entwicklungen verschlafen oder aus welchen Gründen auch immer in Zweifel ziehen.
Bildung - ein Garant für Demokratie
Bildung weitet den Horizont und gibt auch dann Sicherheit, wenn gefestigte Muster und Modelle zusammenbrechen und Freiräume eröffnen für extremistisches Gedankengut, im konkreten Falle für Klima- und Pandemie-Leugner, für Weltuntergangspropheten und Verschwörungstheoretiker (Q), für gewaltbereite Nationalisten und Populisten. Sie alle gefährden unsere Demokratie. Immer dann, wenn diese extremistischen Kräfte erstarken, geraten die demokratischen Systeme in Gefahr, das lehrt uns die Geschichte. Diese Agitatoren und Rassisten spalten die Gesellschaft, schüren die Ängste der Bürger und zielen ganz bewusst auf eher bildungsferne Schichten. Wer sich abgehängt und ausgegrenzt fühlt, wer diese Machenschaften und Strategien nicht hinterfragen und einordnen kann, der ist anfällig für diese Schwarz-Weiß-Malerei, die jeden Andersdenkenden zum Feind erklärt. Und genau aus diesem Grunde ist Bildung so wichtig. Nur wer lernt, mit dem eigenen Kopf zu denken, kann auch komplexe Zusammenhänge erkennen. Nur wer über ein geistiges Fundament verfügt, braucht eine gesellschaftspolitische Auseinandersetzung nicht zu fürchten und wird sich auch in kontrovers geführten Debatten Gehör verschaffen können. Und genau aus diesen Überlegungen ist es auch von zentraler Bedeutung, dass nach Jahren der Rückschritte, der Orientierungslosigkeit und der Beliebigkeit nun politische Bildung in den öffentlichen Schulen wieder in den Lehrplan aufgenommen wird. „Bild Dir eine eigene Meinung“ muss die Devise lauten, die die Bildungseinrichtungen und das Lehrpersonal befeuern soll, Jugendliche zu selbständig denkenden Individuen zu erziehen. Demokratie steht und fällt mit der Freiheit des Denkens, mit klugen, toleranten und zukunftsgerichteten Köpfen.
Bildung - ein Garant für ein Leben in Frieden und Freiheit
Es lohnt sich, für eine gediegene Bildung tagtäglich zu kämpfen und den vielerorts wieder aufflammenden Totalitarismus und schlussendlich die Wiedergeburt der Diktatur mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern. So sollte uns das Erstarken von Autokraten auch innerhalb der EU alarmieren. Sie kleiden sich für die Außenwahrnehmung in pseudodemokratische Mäntelchen, in Wahrheit setzen sie aber auf Nationalismus und Abschottung, belegen die Medien mit Zensur, machen kritische Journalisten mundtot und nehmen Oppositionspolitiker in Isolationshaft oder werfen sie ins Gefängnis, wo sie nicht selten gefoltert werden. Sie zwingen die Justiz in einen Komplizenstatus und haben damit freie Hand für die Umgestaltung der Gesellschaft hin zur totalen Entmündigung der Bürger. Polen und Ungarn sind neuerdings das beste Beispiel dafür. Eine Steigerung Richtung Diktatur erleben wir derzeit in Belarus, in Venezuela, in der Türkei und in Russland selbst. Und schließlich liefert uns China den Beleg für eine Diktatur, die jede Form von Freiheit im Keim erstickt und unter dem Deckmantel der Staatsräson ein Regime der Angst und des Terrors errichtet. Sie schreckt auch nicht davor zurück, auf das eigene Volk zu schießen (Niederschlagung der Studentenunruhen am Platz des himmlischen Friedens oder die gewaltsame Gleichschaltung Hongkongs).
Wohin das alles führen wird? Es werden, wenn nicht rechtzeitig eine demokratische Umkehr gelingt (und das kann langfristig nur über die Schiene der Bildung und Kultur sichergestellt werden), weltweit leider wieder finstere Zeiten
anbrechen, die Not und Elend über die Menschheit bringen und verbrannte Erde hinterlassen. Trotz Wohlstand sind viele Staaten nicht bereit, ihrem völkerrechtlichen Auftrag gerecht zu werden und verweigern von internationalen Verträgen gesicherte Menschenrechte. Das ist rund 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg eine Bankrotterklärung der zivilisierten Welt und die Folge einer bereits sträflich vernachlässigten Bildung. Man muss schon mit Blindheit geschlagen sein, um nicht zu erkennen, dass ein Leben und Wirtschaften in Frieden und Freiheit auf Dauer nur in einer solidarischen und auf die Achtung der Menschenwürde und der christlichen Werte bedachten Welt möglich sind. Die sozialen Medien haben in dieser Hinsicht leider keinen Demokratisierungsschub gebracht – im Gegenteil. Sie tragen dazu bei, unter dem Schutz der Anonymität hemmungslose Hetze zu verbreiten, die Wahrheit zu leugnen und den bösesten Instinkten Raum zu geben.
Was tun?
„Die Aufgabe des Intellektuellen ist es nicht, Liebenswürdigkeiten zu verteilen, sondern zu sagen, was ist. Er will nicht verführen, sondern bewaffnen!“ (Régis Debray)
Und Edmund Burke schrieb schon im 18. Jahrhundert: „All, that evil needs to triumph, is the silence af good men!“ (Alles, was das Böse braucht, um zu triumphieren, ist das Schweigen der guten Menschen).
Vielleicht lernen wir die Krise als Chance zu begreifen. Die Devise muss lauten: Demokraten aller Länder, vereinigt euch!
Wir sind gefordert, für eine Kultur der Solidarität und Menschlichkeit in aller Öffentlichkeit zu kämpfen und die Straßen, die öffentlichen Plätze und sozialen Medien nicht den rechtsextremen Fanatikern und Anarchisten zu überlassen! Vielleicht muss es eine neue soziale Revolution richten nach dem Motto Georg Büchners: Friede den Hütten/sprich: Armen und Ausgegrenzten, Krieg den Palästen/sprich: Superreichen und enthemmten Finanzeliten.
Es braucht einen kollektiven Gesinnungswandel. Die Jugend macht es uns zum Teil ja schon vor, indem sie Zeichen der Hoffnung setzt, so z.B. Joshua Wong in Hongkong, oder die Bewegung Friday For Future, oder Black Lives Matter, oder Alexei Nawalny in Russland und verschiedene Oppositionspolitiker in Belarus, um nur einige besonders aktuelle Fälle zu nennen. Bildung befähigt, Abschied zu nehmen von einer blinden Gefolgschaft in einer neoliberalen Marktwirtschaft, die ohne Rücksicht auf Verluste ausschließlich auf Gewinnmaximierung ausgerichtet ist und dabei längerfristig die Zerstörung ganzer Ökosysteme und möglicherweise sogar den Untergang des gesamten Planeten in Kauf nimmt. Vielleicht ist die Zeit tatsächlich reif für die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen und für geschwisterliche Solidarität.
Wir schaffen das
Was wir aber gesamtgesellschaftlich noch viel mehr brauchen, ist eine neue Aufbruchstimmung (ähnlich der nach dem großen Krieg), die die Krise als Herausforderung betrachtet und unter Einbindung aller Bevölkerungsschichten eine kollektive und solidarische Antwort gibt. Es heißt: Ärmel hochkrempeln, mit gesteigertem Idealismus die um sich greifende Resignation überwinden, vom Lamentieren zum Handeln übergehen, auf Egoismen verzichten und im Sinne Max Webers von einer Gesinnungsethik zu einer Verantwortungsethik zu gelangen. Es kommt auf jeden einzelnen Beitrag an! Wir haben mit Fleiß und mit leidenschaftlicher Überzeugung für die res publica schon schlimmere Situationen gemeistert. Bauen wir also gemeinsam an einer Welt, in der zu leben sich auch für zukünftige Generationen lohnt. Jede Veränderung beginnt im Kopf. Und Bildung schult eben die geistige Urteilsfähigkeit und fördert die Achtung der grundlegenden Menschenrechte. Lasst uns also mit Zuversicht die Zukunft gestalten, denn „wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch!“ (Hölderlin)
Lesenswerte Bibliografie
- Der Hessische Landbote (Georg Büchner)
- Die Schule neu denken (Hartmut von Hentig)
- Ändere die Welt (Jean Ziegler)
- Empört euch (Stéphane Hessel)
- Das terrestrische Manifest (Bruno Latour)
- Was jetzt zu tun ist (Hannes Androsch)
- BlackRock: Eine heimliche Weltmacht greift nach unserem Geld (Heike Buchter)
- Mindf*ck. Wie die Demokratie durch Social Media untergraben wird. (Christopher Wylie)
- Enzyklika „Fratelli tutti“ von Papst Franziskus
Josef Duregger
Es folgen 6 weitere Unterschriften:
- Falkensteiner Markus
- Falkensteiner Reinhold
- Niedermair Leonhard
- Niederbacher Manfred
- Müller Johann Josef
- Passler Johann
Gais, im Herbst 2020